Was bisher geschah - Zusammenfassung der Ereignisse von Neronia Teil III:
Dunkles leuchten am Horizont
Graf Cedric nahm noch einen Schluck Wein aus seinem Becher und schloss die
Augen. Das Aroma der Flüssigkeit verteilte sich in seinem Mund, stieg ihm
in die Nase und legte einen weichen Schleier um seine strapazierten
Nerven. Seit die Stadt nicht mehr belagert wurde, gab es auch endlich
wieder etwas Wein. Ein echter Segen. Cedric ließ den kostbaren Schluck die
Speiseröhre hinunterrinnen und wandte sich wieder den Plänen der
Verteidigungsanlagen zu. Der andere Segen war, dass er nun, da die Dunkle
Armee die Belagerung aufgegeben hatte, endlich wieder die militärische
Befehlsgewalt über die Stadt innehatte. Silvon, der Parganas vom
königlichen Hof, packte schon seit Tagen seine Sachen. Es wurde höchste
Zeit, dass dieser entrückte Theoretiker endlich von hier verschwand.
Wahrscheinlich musste er vor seiner Abfahrt noch in stundenlangen
Meditationssitzungen seine verschlungenen Gehirnwindungen ordnen. Cedric
schü ttelte den Kopf. Reines Glück, dass die Stadt unter dem Befehl dieses
Schreibtischstrategen nicht gefallen war. Nun ja, bevor es zum Äußersten
gekommen wäre... Ich hätte schon eingegriffen, bevor dieser Spinner uns
alle... königlicher Befehl hin oder her...
Ein Klopfen an der Tür schreckte Cedric aus den Gedanken.
"Ja?"
Bergnon, sein Adjutant, streckte den Kopf zur Tür herein. Die Fackel neben
dem Eingang warf ihr Licht auf die picklige rechte Wange des Mannes. Die
leichte Entspannung, die der Wein bewirkt hatte, ließen Cedric zum ersten
mal wirklich bemerken, wie jung Bergnon eigentlich war. Pickel, verdammt
nochmal! In diesem Alter sollten junge Männer wie er andere Sachen zu tun
haben als in den Krieg zu ziehen. Kalte Wut regte sich in Cedrics
Magengrube. Er erinnerte sich an zu viele solcher Gesichter. Oft genug
hatte er ihnen die Augenlider geschlossen.
"Entschuldigt, Sir, aber..."
"Sag, was es gibt. Ich bin müde."
"Zwei Dinge. Graf Kildran lässt ausrichten, dass er und Parganas Silvon
morgen früh abreisen werden. Außerdem gibt es Meldungen von Spähtrupps der
Dunklen Armee im Südosten." Bergnon war einen Schritt ins Zimmer getreten
und stand nun besser im Licht, so dass die dicke Narbe sichtbar war, die
sich über die linke Gesichtshälfte zog. "Schick einen Trupp los, der die
Dunklen Soldaten sucht und vernichtet. Die sollen merken, dass hier wieder
jemand am Ruder sitzt, der sich nicht lange mit taktischen Spielchen
aufhält." Cedric musste ein wenig lächeln. "Außerdem wollen wir doch
nicht, dass unserem geschätzten Graf Kildran und dem großen
Militärstrategen Silvon auf ihrer Reise etwas zustößt."
Wenn Bergnon die Ironie verstanden hatte, ließ er es sich zumindest nicht
anmerken. "In Ordnung", sagte er nur, und verschwand wieder. Cedric
studierte noch eine Weile die Grundrisspläne der Festungsanlagen, rollte
sie aber dann zusammen. Die Reparaturarbeiten liefen ohnehin, und alles
weitere konnte noch warten, bis Silvon und Kildran abgereist waren. Dieser
Emporkömmling Kildran hätte sowieso für alles, was Cedric veranlassen
würde, einen besserwisserischen Kommentar übrig. Als die Pläne aufgeräumt
waren, kam auf dem Schreibtisch ein Packen Briefe zum Vorschein.
Korrespondenz, die Cedric wegen der Belagerung nicht hatte losschicken
können. Der letzte, unfertige Brief an seinen Cousin Oleander lag obenauf.
Cedric zog ihn hervor und begann, ihn noch einmal zu überfliegen.
"Du wolltest wissen, wie die Sache mit dem Gorm beim Kloster Acron damals
wirklich gelaufen ist. Kildran hat es natürlich mal wieder geschafft, den
ganzen Ruhm für sich einzuheimsen. Dabei war er längst abgereist, als der
Gorm besiegt wurde. Doch der Reihe nach: Nachdem wir unseren Auftrag beim
Pendrais-Kloster zu Acron erledigt hatten, die Sekte des Armageddon
besiegt und die Magiequelle versiegelt war (ich hab dir das in einem
früheren Brief erzählt), bin ich sofort abgereist, um beim Hof Bericht zu
erstatten. Kildran blieb mit dem Großteil unseres Trupps noch vor Ort, um
den Sieg ein paar Tage zu feiern. Und wie es der Teufel so will:
Ausgerechnet dort muss DER Brief ankommen. DER Brief, den der
gefangengenommene Parganas Lorian kurz vor seinem Tod irgendwie aus seinem
Gefängnis und durch die feindlichen Linien zu uns schmuggeln ließ. Keine
Ahnung, wie Lorian an all die militärischen Informationen gekommen ist.
Schließlich wollten die Inquisitoren der Dunklen Armee ihn ausquetschen -
und nicht umgekehrt. Wie auch immer: Auf jeden Fall ist es ja wohl
bezeichnend für das pure Glück von Kildran, dass ich zwei Tage vorher
abgereist bin und dieser Brief ausgerechnet ihm in Hände fällt. Ein Bote
bringt also den Brief nach Acron, Kildran (als höchster Adliger) liest ihn
und erkennt sogar die Tragweite des Inhalts. Flugs macht er sich auf den
Weg zum Hof und marschiert dort als der große Held und Retter ein. Die
Parganas machen sich natürlich sofort über den Brief her, und seitdem hat
Kildran auch bei denen einen Stein im Brett. Meine Erfolgsmeldungen haben
zu dem Zeitpunkt natürlich niemanden mehr interessiert. Wenigstens waren
die Informationen, die Lorian beschafft hat, so wertvoll, dass wir - wie
du ja weißt - riesige Fortschritte im Kampf gegen die Dunkle Armee gemacht
haben. Die Pattsituation, die wir nun seit einigen Monaten an allen
Fronten haben, ist zwar ungeheuer kostspielig,... Cedric musste wieder an
all die jungen, toten Gesichter denken. Wie hatte er ein Wort wie
"kostspielig" schreiben können? ...für beide Seiten, aber immer noch
besser als immer nur zu reagieren und doch schleichend Boden zu verlieren.
In Lorians Brief stand aber auch, dass ein Gorm - das sind schreckliche
Wesen, die der Dunklen Armee als Heerführer dienen - zufällig in der Nähe
von Acron mit einer Eskorte vorbeiziehen würde. Bevor sich Kildran von
Acron auf den Weg zum Hof machte, erteilte er den Truppen, die wegen des
Festes noch vor Ort waren (irgendwie hatten sich auch eine Menge Barbaren
unter den Haufen gemischt), den Auftrag, die Gelegenheit zu nutzen und den
Gorm zur Strecke zu bringen. Dann zog Kildran los und überlegte sich
wahrscheinlich schon eine Rede für seinen Auftritt beim König. Mit dem
Sieg über den Gorm hatte er nichts mehr zu tun. So hat es sich nach meinen
Informationen wirklich zugetragen. Die Bücherwürmer des Pendrais-Klosters
hatten natürlich einen Experten für Gorm-Sagen in ihren Reihen. Nur war
der kurz vorher im Wald von Räubern umgebracht und ausgeraubt worden, und
wandelte nun als Geist durch die Gegend. Klar war nur, dass Gorms in den
Sagen als fast unbesiegbar beschrieben werden. Der tote Bruder hatte
jedoch ein Schriftstück, das wertvolle Hinweise darauf beinhaltete, wie
man einen Gorm doch umbringen kann. Nachdem diese Schriftrolle wieder
aufgetaucht war und von den Gelehrten entschlüsselt werden konnte, mussten
aus verschiedenen Zutaten (unter anderem Vampirblut! So erzählt man sich
zumindest) Wurfgeschosse hergestellt werde, die also für Gorms tödlich
sein sollten. Und tatsächlich: Die Waffen wurde gerade noch rechtzeitig
fertig, bevor der Gorm in der Nähe gesichtet wurde. Der Kampf soll heftig
gewesen sein, aber am Ende war die Eskorte besiegt und der Gorm fiel unter
dem Hagel der magischen Wurfgeschosse. Ein wichtiger Sieg, zweifellos,
auch für die Moral der Truppen, aber was man nun daraus gemacht hat...."
Wieder klopfte es an der Tür. Diesmal trat Bergnon ein, ohne die Erlaubnis
abzuwarten. Das war ungewöhnlich. Der Gesichtsausdruck auf dem Gesicht des
Adjutanten war... aufgeregt, verwirrt? Bergnon öffnete den Mund, wollte
losreden, aber da fiel ihm wohl ein, dass er mit seinem überstürzten
Eintreten das Protokoll gebrochen hatte. Er hielt inne.
"Na, was ist denn, Bergnon?", sagte Cedric ungeduldig.
"Nun, ich erzählte euch doch von den Spähtrupps der Dunklen Armee..."
"Ja, Und?"
"Einer ist in Sichtweite der Festungsmauern."
Cedric schnaubte überrascht. "Im Ernst? Sind die Lanzenreiter schon
unterwegs, ihn aufzureiben? Du weißt, dass du das veranlassen darfst, ohne
mich zu fragen."
"Ja, Sir. Nein, Sir... Ich dachte.... Ihr wolltet euch das selbst ansehen."
"Verdammt, was ist denn los mit dir? Sag mir endlich, was das Problem
ist." Bergnon sagte es ihm.
Cedric starrte ihn an. "Sie haben was???"
....
Als Cedric hinter Bergnon die Stufen zur Festungsmauer hinaufstieg,
arbeitete sein Geist auf Hochtouren. Was sollte das ganze? Sein Blick fiel
auf seine Lanzenreiter, die fertig gesattelt und gerüstet im Innenhof
standen und unschlüssig auf ihre Befehle warteten. Irgendwie kam Cedric
die Situation seltsam unwirklich vor. Warum war es überhaupt hell? Er
blickte zum Himmel. Es musste früher Morgen sein. Er hatte wohl länger in
seinem Studierzimmer gesessen, als er gedacht hatte. War er zwischendurch
eingeschlafen? Die letzten Stufen. Außer Atem schritt er hinter Bergnon
her, der auf eine Stelle über dem Südtor zuhastete. Einige Offiziere
standen bereits dort, einer spähte durch ein Fernrohr. Als er bemerkte,
dass Cedric und Bergnon sich näherten, wandte er sich ihnen zu. "Sie haben
sich nicht von der Stelle bewegt, Sir. Sie scheinen zu warten." Cedric
riss ihm das Fernrohr aus der Hand. Bergnon hatte ihm schon beschrieben,
wo der Trupp sein sollte. Nach einigen Sekunden Suche hatte sah er ihn. Es
waren höchstens zehn Mann, wahrscheinlich weniger. Die meisten von ihnen
waren abgestiegen. Einer saß noch auf seinem Pferd, etwas von der
restlichen Gruppe abgesondert. Die weiße Fahne, die über seinem Kopf
flatterte, war deutlich sichtbar. Eine weiße Fahne. Verhandlungen. Die
Dunkle Armee verhandelt nicht. War das ein Trick? Selbst wenn nicht...
Wieder fielen Cedric die vielen toten Gesichter ein. Freunde waren
darunter gewesen, oft fast noch Kinder. Wollen wir mit denen verhandeln?
Cedrics Finger krampften sich um das Fernrohr. Wenn er es abnahm,
erwarteten seine Untergebenen eine Entscheidung von ihm. Er dachte an die
Lanzenreiter im Innenhof. Sie waren seine Leute, warteten ungeduldig
darauf, es den Dunklen Soldaten heimzuzahlen. Wenn er ihnen ein Zeichen
gab, würden sie hinauspreschen und mit dem kleinen Trupp kurzen Prozess
machen, die weiße Fahne verbrennen. Das wäre dann fürs Erste ein frühes
Ende der ... Diplomatie. Es würde eine Weile dauern, bis sich sein Befehl
nach oben herumsprechen würde. Dann könnte er immer noch sagen, es hätte
Anzeichen für eine Falle gegeben. Cedric nahm das Fernrohr ab, drehte sich
zum Innenhof um. Der Anführer der Lanzenreiter sah zu ihm herauf. Einen
Moment lang war er versucht, das Zeichen zum Angriff zu geben. Doch hatte
er diese Wahl wirklich? Gegenüber, beim Gästequartier, öffnete sich eine
Tür. Cedrics Miene verfinsterte sich. Es waren Graf Kildran und Parganas
Silvon, die auf den Platz traten und sich bei Umherstehenden erkundigten,
was denn los sei. Es hatte keinen Sinn. Die Sache würde sich viel zu
schnell herumsprechen; im Grunde hatte sie sich bereits herumgesprochen.
Die Dunkle Armee will verhandeln. Das waren mal Neuigkeiten. Und der König
wäre sicher nicht erfreut, wenn Cedric nun die erste friedliche Abordnung
des Gegners einfach umbringen würde. Er wäre alles andere als erfreut. Und
wer daraus wieder Profit schlagen könnte, war auch klar. Unten im Hof
machten sich Kildran und Silvon auf den Weg zur Treppe, die auf die Mauer
führte. "Äh... Sir?", fragte Bergnon.
Cedric hatte keine Wahl. "Schick eine Delegation raus, Bergnon", sagte er
müde. "Geh am besten selbst mit. Frag, was sie wollen."
Dann verhandelt doch mit dem Teufel, ihr Narren...